Klaus Lehmann    -     serendipitiy
14.05. - 11.06.17

von Dr. Roland Held

Eröffnung der Ausst.: „Klaus Lehmann – serendipity –                                                  Retrospektive“ in der Galerie Metzger, Johannesberg

ob. Aschaffenburg, 14.Mai 2017

 

„Ich war ja immer wieder woanders in meinem Leben.“ So lautet, meine sehr verehrten Damen und Herren, einer der Sätze, die ich auf meinen Besuchen bei Klaus Lehmann ab-solut notierenswert fand. Ein Satz, den er – ich erinnere mich gut – vorbrachte mit einem Lächeln, halb entschuldigend, halb verschwörerisch. Was wollte er mir, was wollte er uns damit nur sagen? Ja, er hatte ein paar Wechsel des Wohnorts hinter sich. Doch lagen die eher im Bereich des Üblichen, machten ihn nicht gerade zu einer spektakulär kosmopoliti-schen Existenz. Und die letzten mehr als dreißig Jahre war der gebürtige Berliner unter einer festen Adresse in Darmstadt-Eberstadt zu erreichen, für mich in bequemer Laufweite. Dort, in seinem Wohnatelier fand man ihn vor, umgeben von ausgewählten eigenen Ar-beiten, aber mehr noch von Kunstkatalogen und Büchern, hauptsächlich moderner Bellet-ristik. Zweifellos bescherten die ihm Reiseerlebnisse des Geistes. Trotzdem hätte er, stets zum Understatement neigend, es anmaßend empfunden, darauf hinzuweisen, daß er, dank etwa der Kurzgeschichten und Romane seiner Lieblingsautorin, der Kanadierin Margaret Atwood, „immer wieder woanders“ sei. Nein, nein. Je länger ich über den Ausspruch nachdenke, desto sicherer werde ich, daß Klaus Lehmann damit indirekt anspielte auf die Positionswechsel seiner Kunst.

 

Die sind in ihrer Abfolge und, womöglich, inneren Logik nicht ganz leicht zu rekonstruie-ren. Jedem Gesprächspartner wurde schnell klar, daß man es zu tun hatte mit jemand, der sich selbst– egal, wieviele Ausstellungen in Galerien und Museen dagegenstehen, wieviele Auszeichnungen durch Preise, Teilnahmen an Symposien, Vertretensein in Sammlungen – jemand, der sich selbst nicht sonderlich wichtig nahm. Und daß es ihm umso schwerer fiel, sich mit Vergangenem zu identifizieren, je länger es zurücklag. So hatte es schon einen Beiklang von urnebelumwallter Prähistorie, wenn er über seine Anfänge als Gefäßkera-miker redete. Das war 1951/52, als Lehmann nach einem Pädagogik-Studium für ein Jahr nach Paris, damals noch Welthauptstadt der Kunst, ging, sich mit odd jobs über Wasser hielt, viele Picasso-Bilder studierte und auf gut Glück Kontakt aufnahm mit Signe Pisto-rius, der Tochter seines Göttinger Professors. Von ihr wurde er ins Musée Guimet mit des-sen exquisiter ostasiatischen Sammlung „hingeschleift“, wo er sich selber verwunderte über sein intuitives Verständnis dafür, wo etwa bei Gestalt und Dekor einer Teekanne die kritischen Punkte liegen. Durch Signe, die über eine reguläre Töpferlehre verfügte und später in Deutschland seine Frau wurde, eignete er sich die nötigen Kenntnisse an, um im Werkstoff Ton tätig zu werden.

 

Seine Spezialität waren zunächst Schalen, flach genug, um unbehindert darin malen zu können, dank Wachstechnik in mehreren Glasur-Mustern übereinander. Gleichwohl zog er es immer bescheiden vor, in der ersten Person Plural zu sprechen, wenn er von der Zeit der gemeinsamen Werkstatt erzählte. Bekanntheit errang das Paar Lehmann-Pistorius mit Zwitterwesen von Gefäß und Plastik, die, vielleicht als Zugeständnis an Publikumswün-sche, lange ihre Benutzbarkeit beibehielten. „Aber irgendwann hat man es satt, Öffnungen und Deckel zu machen“, resümierte Klaus Lehmann lapidar seine Erfahrungen. Mitte der sechziger Jahre trennten sich die Wege, beruflich wie privat. Nach einer Übergangszeit, da er versuchte, zweigleisig zu arbeiten – hier Vasen und Schalen, Kannen und Becher, dort freie Tonplastik – dämmerte ihm, daß er unmöglich ohne Qualitätseinbuße parallel in bei-den Metiers arbeiten konnte. Originalton Lehmann 2010:„Heute ist die Gebrauchskeramik eine nette Erinnerung für mich, mehr nicht.“ Von allen Attributen, mit denen man seine ureigene Produktion, seine ureigene Entwicklung beschreiben mag - „nett“ ist so ziemlich das fernliegendste. Einzelgänger, der er war, strebte er weder danach, einer programma-tischen Schule anzugehören, noch selber eine zu gründen. Daß er als Lehrerfigur, als lang-jähriger Leiter von keramischen Kursen deutliche Spuren hinterlassen hat, nicht zuletzt in Gestalt von Keramikern, die sich stolz darauf berufen, seine Schüler gewesen zu sein, steht auf einem anderen Blatt. Und nun das Charakteristischste: es war ihm sogar unmöglich, dauerhaft bei sich selbst in die Schule zu gehen.

 

Was ich damit sagen will: mehrmals in seiner Karriere, immer dann, wenn die Welt glaub-te, ihn mit einem Schlagwort eingefangen, stilistisch dingfest gemacht zu haben, bewegte er sich abrupt in eine andere Richtung. Wie sehr definierte man ihn doch bis in die neunzi-ger Jahre hinein über seine Werkserie der sog. „Container“. Die überwiegenden Quader und Würfel aus glatt geschnittenem, unglasiert duffem Ton untersuchten, mit rationalem Formvokabular, räumliche Grundgegebenheiten und elementares Verhalten von Licht und Schatten. Mini-Architekturen, dachlose zwar, deren Inneres sich dem Blick dennoch teil-weise entzieht, gelegentlich mit Einsätzen aus Fremdmaterial, mit separaten Kammern, wo der Lichteinfall bis zum Boden reicht, aber auch mit Vertikalschächten, wo das Licht als-bald geschluckt wird. Als „abstrahierte Urformen von Behausung“ sind die prosaisch-klar und zugleich hermetisch-geheimnisvoll anmutenden Objekte in Presse- und Eröffnungs-texten immer wieder beschworen worden, im übertragenen Sinne als „Orte des inneren Rückzugs, Kraftwerke der eigenen Gedanken, Sammelbecken kostbarer Erkenntnisse, Tre-sore innerer Ruhe“. Was zu Klaus Lehmanns Naturell ja durchaus paßt, der stets Einkehr, Stille, Abstand dem Lärm vorgezogen hat, Freiheit und Unabhängigkeit dem äußeren Er-folg. Ihm selbst freilich hätte es ferngelegen, in mystischen Metaphern über die Kinder seines Brennofens zu reden...

 

Doch auch ich ertappe mich dabei, wie ich sein Schaffen auf mich wirken lasse in einer Weise, die über den rein sensorischen Befund von Pupillen und Fingerspitzen hinausgeht. Als ich vor ein paar Tagen hier den vom Ehepaar Metzger gestemmten Ausstellungsaufbau begutachtete, war ich auf Anhieb in Bann geschlagen von dem verchromten Regal, ach was: dem Überregal, auf dessen fünf Ebenen zwei dutzend Werkproben Platz haben, von denen jede einen mehr oder minder gewichtigen Platz einnimmt im Lehmann'schen Ge-samtoeuvre. Und das bei äußerstem Kontrastreichtum bezüglich Form und Farbe, Glasiert und Matt, Flachkörper und Volumenkörper, Ballung und Teilung der plastischen Masse, Bergung und Offenlegung des Raums. Wie ein gewaltiges Aggregat von Kraft, von spiri-tuell-geistiger Wärme, von stoffgewordenem Selbst- und Weltentwurf strahlt das Regal auf mich aus und läßt mich deshalb, bei allen Unterschieden, zurückdenken an bestimmte Sta-tionen des Beuys-Blocks im Hessischen Landesmuseum Darmstadt. Und noch ein Kon-trast: einerseits dauerhaft in scharf definierte Grenzen von Dreidimensionalität gebundene Arbeiten, andererseits solche, deren ungebärdiges Fortfließen und Weitersprießen nur für den kurzen Moment der Betrachtung angehalten scheint – ich kann daraus bloß schlußfol-gern, daß Klaus Lehmann während seiner Schaffensjahrzehnte höchst unterschiedliche Existenzprinzipien nicht nur gestreift, sondern mitten durchschritten, womöglich durch-litten hat.

 

Schon auf den ersten Blick läßt diese Auswahl keinen Zweifel, daß das Selbstverständnis dieses Keramikers ein bildhauerisches war. Das bestätigt sich an den „Containern“ ebenso wie an den Werkgruppen, die darauf folgten. Immer noch dürfte der Schock des neuerli-chen Stilwechsels mühelos nachvollziehbar sein, mit dem Lehmann Mitte, Ende der neun-ziger Jahre Image, Status und, am riskantesten von allem, seine Sammlergemeinde brüs-kierte. Er verwirrte mit Formen, die zu beschreiben man um treffende Worte richtiggehend ringen muß – so radikal kündigte der Künstler vorübergehend Zollstock, Wasserwaage und Winkelmaß die Gefolgschaft auf, so vorbehaltlos ließ er sich ein auf den Ausdruck des entfesselten Materials, das sich zum Geschwulst bläht, amorph wie ein Hornissennest, das zum Zapfen emporwächst, irregulär wie ein Tropfsteingebilde, oder das sich zu knotigen Schleifen aufbäumt und knäuelt. Der Begriff „handschriftlich“ wäre noch ein zu nüchterner Ausdruck für das Gewoge aus Dellen und Graten, sprich: für die Eingriffe von Handballen, Handkante, Daumen, Fingern, und „informell“ wäre noch ein zu zahmes Stil-Etikett. Als hätte das Spontane, Anarchische, Irrationale das einst vorherrsche Rationale im Formen-kanon gänzlich überschwemmt. Natürlich hält die Kunstgeschichte des 20.Jahrhunderts reichlich Beispiele von Wandlungen bereit. Nur vollzogen die sich meist sukzessive, und im klassischen Fall von mehr oder weniger figürlicher zu abstrakter Gestaltung. Ein Muster, das man Lehmann nicht überstülpen kann. Ich persönlich hege die Vermutung, daß die Wandlungen bei ihm ausgelöst wurden von Verschiebungen körperlicher und seeli-scher Energien, einhergehend nicht zuletzt mit dem Älterwerden und der Erkenntnis, daß dagegen kein Kraut gewachsen ist.

 

Nun hatten Sie, meine Damen und Herren, mittlerweile genug Muße, die Exponate dieser imposanten Auswahl aus dem Nachlaß zu studieren und mit meinen Beschreibungen abzu-gleichen. Dabei haben Sie vielleicht festgestellt, daß Klaus Lehmanns allerspäteste Werk-gruppe so einseitig irrational, regellos, womöglich formlos gar nicht ist. Gibt es doch genug Beispiele, in Sockel- wie Wandobjekten, wo stereometrische und organische Form-elemente unauflöslich verquickt sind. Wer will, könnte den von Joseph Beuys propagierten Gegensatz zwischen Kristallin und Amorph, Ordnung und Chaos, Stasis und Bewegung in den plastischen Schöpfungen des sechs Jahre jüngeren Lehmann wiederfinden. Schöpfun-gen, die er übrigens sehr liberal, heute sagt man auch: partizipatorisch anpackte, indem er speziell viele Wandobjekte rückseitig so vorbereitete, daß der Käufer sie in ganz variabler Position anbringen kann. Und noch etwas: aus nicht wenigen dieser keramischen Plastiken blitzt subtiler Humor auf. Ein vom Urheber wenn nicht beabsichtigter, so doch sehend ge-duldeter Doppelsinn. Wie sonst erklärt sich, daß eigentlich freie, nur auf ästhetische Funk-tion bedachte Stücke beharrlich an dieses oder jenes Gebrauchsgerät denken lassen, von Steckdose und Auspuffrohr über Schlittschuh, Amboß, Kinderwiege bis zu Werkzeugkas-ten, Bügelbrett, ja: künstlichem Hüftgelenk?

 

Zum Werkstoff Ton, Westerwälder Ton, den Lehmann aus Gründen des stabileren Auf-baus stark zu schamottieren pflegte, unterhielt er eine abgeklärte Beziehung. „Das wird einem nicht in die Wiege gelegt“, räumte er ein. „Aber nach all den Jahren ist man vertraut damit. Irgendwann ist man ein Tonmensch.“ Was ihn nicht davon abhielt, im Einzelfall auch mal ein geeignetes keramisches Objekt als Auflage in Zement, Bronze oder Eisen gießen zu lassen. Das kann eine Monumentalität wecken sogar bei ausgesprochen Klein-formatigem. Und dazu bekannte er sich ja vorbehaltlos: „Ich behaupte, jeder hat sein per-sönliches Maß, das er gerne und gut ausfüllt. Es gibt leider so viele Beispiele von Bildhau-ern, denen das Maß ins zu Große entglitten ist. Nein – small is beautiful.“ Ich verweise zum Schluß daher auf die iem Regal präsenten Landschaften im Miniaturzuschnitt, als die ich die von Lehmann „Plätze“ und „Bühnen“ titulierten Arbeiten empfinde: Plinthen, schon mal rampenartig schräg und von trapezförmigem statt rechteckigem Grundriß, dar-auf unterschiedliche Gebilde verstreut sind, kubisch zuende formuliert die einen, roh im Prozeß geblieben die anderen. Unglasiertes Elfenbeinweiß wechselt ab mit glasiertem, was dem Kompositcharakter jeder vom Menschen geprägten Landschaft entspricht. Bei einem über 80jährigen kann man der Versuchung kaum widerstehen, gerade diese „Bühnen“ und „Plätze“ zu deuten als Bedürfnis, eine Summe zu ziehen. Im Falle Klaus Lehmann dann wohl ein reminiszentes Antippen der wechselnden Orte und Positionen, entlang deren er sich bewegt hat bis in die letzten Wochen. Wie lautete noch mal sein Stoßseufzer: „Ich war ja immer woanders in meinem Leben.“       ©   Dr.Roland Held, Darmstadt 2017