Ein Großer des Kleinformats
Zum Tode des keramischen Bildhauers Klaus Lehmann (1927-2016)
Einer, dem
man weniger auf Vernissagen und Messen begegnete als in Buchhandlungen.
Was sagt das über Klaus Lehmann, lange als „Keramiker“ gehandelt, aus?
Dass seine Interessen weiter und tiefer reichten, als form- und
dekorschöne Schalen und Vasen abzuliefern. Dem in Literatur und
Philosophie Bewanderten ging es um nicht weniger als die
Grundgegebenheiten und -akte sowohl des Materials wie des Menschen. Zwar
betrieb der in Berlin geborene, in der Jugend mit schwierigsten
Zeitumständen konfrontierte Lehmann nach Pädagogikstudium und
autodidaktischen Anfängen an der Werkkunstschule Kassel zwischen 1955
und 1965 durchaus erfolgreich im Odenwald eine keramische Werkstatt mit
seiner damaligen Ehefrau Signe Lehmann-Pistorius. Bekanntheit errang das
Paar mit Zwitterwesen von Gefäß und Plastik, die lange ihre
Benutzbarkeit behielten. „Doch irgendwann hat man es satt, Öffnungen und
Deckel zu machen“, begründete er selbst seine Absage an die Gefäßkeramik
und seine Hinwendung zur freien Bildhauerei auf der Grundlage gebrannten
Tons. Eine eigene künstlerische Position erwarb er sich mit kubischen
Objekten, die den rationalen Zuschnitt der Minimal Art mit großem
haptischem Reiz zu verbinden wussten: die sog. „Container“, an
Gehäuse-Modelle mit partiellem Einblick, seitlich oder von oben,
erinnernd, unglasiert-duff, in Grautönen changierend. Da verwundert es
nicht, dass er sich geistesverwandt fühlte speziell den Kollegen von der
Konkreten Kunst. Freilich nicht den Vertretern eines dürren Formalismus
nach Rezept; Überraschung, Ambivalenz, Geheimnis, Magie schätzte er bei
anderen wie bei sich selbst. 1989 wurde seine Produktion mit
dem renommierten Westerwald-Preis für keramische Plastik ausgezeichnet –
nur eine von mehreren Ehrungen. Kein Grund für Klaus Lehmann, beim
Erreichten stehenzubleiben. Dass er, bis ins vorgerückte Alter, „immer
wieder neu den Schritt ins Ungesicherte, Ungewisse“ (Walter Lokau)
riskiere, wurde ihm verschiedentlich bescheinigt. Tatsächlich verkörpert
sein Spätwerk nochmals einen radikalen Bruch mit dem bewährten Kanon.
Der rechte Winkel überlebte nur noch quasi als Absprung- und Gegenform
für stark handschriftlich, irregulär wuchernd gebaute Gebilde,
vorzugsweise in Elfenbeinweiß, damit ja nichts ablenkt vom
Licht-und-Schatten-Spiel. Das konnte ans Amorphe grenzen, als schälte
sich alle Schöpfung eben erst aus dem uranfänglichen Chaos. Oft kamen
dabei Wandobjekte heraus – mit Gefäßkeramik nun wirklich nicht mehr zu
verwechseln. Klaus Lehmann, der am 9.Juni nach längerer
Krankengeschichte in einer Erbacher Klinik starb, ist in seiner
Todesanzeige im „Darmstädter Echo“ zurecht als „Bildhauer“ ausgewiesen.
Dass er sich zeitlebens zum Kleinformat hingezogen fühlte, schmälert
seinen Rang nicht. Es passt vielmehr zu seinem persönlichen Auftreten,
das frei von jeder Eitelkeit war, auf die Sache bezogen, aufs
Wesentliche konzentriert, dabei seinem Gegenüber stets aufmerksam
zugewandt, gelegentlich mit spitzbübischem Humor. Einer, dem es leichter
fiel zu loben, als Lob über sich zu hören! Die Impulse, die Lehmann dem
plastischen Gestalten mit keramischem Material gestiftet hat, leben
weiter, im Schaffen sowohl seiner direkten Schülerin Friederike Zeit
(Deidesheim) wie insgesamt einer jüngeren Künstlergeneration, die sich
von seiner unerschrocken-konsequenten Haltung in Bezug auf das Erkunden
neuer Wege inspirieren ließ.
Roland Held, Darmstadt