„… von Anfang an...“ oder Der Ursprungssucher

Über die Rückgriffe des Töpfers, Keramikers und Plastikers Christoph Möller

 Kaum etwas von solch metaphysischer Anziehungskraft wie der Ursprung: Dort und dann, am Punkte größter Potentialität, da Dinge ihren Anfang nahmen, liege auch ihr Wesen, entsprängen Sinn und Wahrheit eines Phänomens oder eines Lebens, des Lebens überhaupt, der Geschichte und aller Geschichten. So erzählen es Religionen und Philosophien, Wissenschaften wie Künste, auch dann noch, wenn diese gar nichts mehr abbildend erzählen. Die moderne Bildlosigkeit avantgardistischen Abscheidens überflüssiger Motive, Mittel, Techniken und Regeln zielt auf den Grund, den voraussetzungslosen Nullpunkt des Gestaltens. Doch die Zeit schlägt dem Streben nach Elementarem ein Schnippchen: Fatalerweise führt kein Weg zurück zum idealen Ursprung – zuletzt, weil Zeit nie rückwärts läuft. Der Rückgriff auf die Unschuld eines Anfangs verfängt sich in einer paradoxen Zeitlichkeit: Auch der ästhetische Regress ist faktisch ein Progress, der die ur-anfänglich Einheit nicht wieder herstellt, sondern im wiederholten An-und-Absetzen letztlich nur wieder neu zerteilt, aber feiner vielleicht und gründlicher. So bleibt der entschwindene „Ursprung“ ein Begehren mehr, als dass er Realität je wird oder war. Gleichwohl: Im unverhofften Erscheinen der Werke der Kunst scheint eine Ahnung von Ursprung stets mit auf. Doch Urzustände sind gar nie lieblich, eher garstig. Das zeigen alle ästhetischen Regressionen: Je anfänglicher, ungeregelter, grundsätzlich freier das Werk angegangen wird – nicht zu verwechseln mit Leichtfertigkeit –, desto befremdlicher erscheint am Ende sein Wesen, namenloser seine Wahrheit, kruder und roher seine Schönheit. Diese unwahrscheinliche Ereignishaftigkeit kennzeichnet in besonderem Maße die radikalen Plastiken Christoph Möllers.

 Der Hang zum Ursprünglichen durchzieht die Arbeit des 1952 in Frankfurt Geborenen von Anbeginn – des Töpfers zunächst, des Keramikers und Plastikers schließlich, nur verschieden weit zurück gewissermaßen. Gestoßen war er auf das Handwerk der Töpferei in der Gottsdorfer Werkstatt von Jörg von Manz, jener eigenwilligen und beeindruckenden Ausnahmefigur der deutschen Keramik, einsamer Erneuerer der Jahrhunderte zurückreichenden niederbayerischen Tradition der Kröninger Hafnerware und heiterer Figürchenformer – eine entscheidende Begegnung. Die Lehrstelle, die der fürs Metier Entbrannte gerne bei Manz angetreten hätte, findet er 1975 in Kandern bei Horst Kerstan, der ihn mit seiner Begeisterung für die jahrtausendealten Gefäßtraditionen Chinas, Japans, Koreas, ansteckt. Nach zweijähriger Lehre bei dem Kanderner Ostasien-Enthusiasten kehrt Möller in die Werkstatt Manz zurück und dreht fortan als Geselle genügsam, aber glücklich traditionelles Geschirr, um 1979 die Werkstatt zu übernehmen und die gutgehende Geschirrproduktion weiterzuführen. Doch der Rückgriff auf Historisches, wie authentisch bodenständig auch immer, genügt Christoph Möller, seit 1993 in Diessen am Ammersee, nach Jahren nicht mehr. In einem plötzlich befreienden Sprung muss die getreuliche Wiederholung alten, funktionalen Handwerks imaginären Archäologien weichen: Eigenartig kultische, durch die grobe Übertragung in Keramik entrückte, funktionslose Objekte entstehen, Werkzeuge, Gerätschaften, Gefäße und Gehäuse, montiert, gedreht, modelliert, gebaut, Thronmodelle, Sänften, Waffen, Schilde, Trichter, Siebe aus dem verkohlenden, berückend patinierenden Schwarzbrand, den Möller sich als Technik den Keramiktraditionen Ungarns abgeschaut hat, auratische Überbleibsel einer nie gewesenen, vorindustriell primitiven Kultur, raumfüllend präsentiert als Installation, Kultstätte, Fundortkonstrukt, ästhetische Versammlung von menschgemachten Resten. Doch als reichten auch die historischen Phantasien verschwundener Kulturen nicht mehr hin, dem Zug des Ursprungs zu entsprechen, langt der Regress zurück ins Organisch-Kreatürliche, ins Biologische einer niederen Fauna erst, dann ontologisch noch vor alle Zeiten schier als plastische Erschaffungsskizzen mythischer Landschaften, erstarrte Schöpfung Szenarien en miniature. Den noch immer schwarzgebrannten Hüllen aufgebrochener Larven, genarbter Puppen, geplatzter Schoten folgten im Laufe der Jahre doppelwandig gebaute, matt weiß engobierte Pilzformen, beulige Schalengewächse, die ihr Inneres schwellend nach außen blähen, schwärende Kapseln, Knollen, Kolben bis schließlich nur noch langgestreckte, farblose Inseln nackter matter Materie stehen, denen einzelne Stämmchen entstreben oder Bahnen, einander umschlingend, in sich zurücklaufen, lustvoll und zögerlich geknetet wie teigige Skizzen eines kindlich sprachlosen Demiurgen, der im Kleinen und Groben probiert, wie Schöpfung wohl aussehen könnte: Vergebliche Modelle einer Ursprungsszene, unbenannt noch vor dem Geworden sein verharrendes Werden, vorstellungsloses Wachsen und Bilden ohne evolutionäre Linie, einfachste Wirkung aufwärts treibender, drückender, knetender Kraft auf bloße, nachgiebige, fügsame Materie wie am Anfang aller Anfänge. Dass Christoph Möller in neuesten Arbeiten eingefärbte Tone verwendet, macht die Sache gleichsam schöpferischer – als wüchsen die unbestellten, wirren Gärten schon gleich am zweiten Tag der Schöpfung.

 Was so ungefügt formlos und infantil bizarr sich ausnimmt, hat seine immense Schwierigkeit auf der Ebene des Machens. Da ist zum einen das Entregeln, das Entkulturisieren des eigenen Körpers: Lebenslang trainiert und dressiert, durch und durch geformt, gelehrt, bestimmt von Kultur muss, wer solches wagt, sich enthalten, entsagen, abtun, vergessen im Moment, sich versagen auch zu wissen, was er jetzt tut, auf keine Stimme hören, taub und blind werden gegen das eigene Können, Wissen und Vermögen, alle Forderungen, Einwendungen, Gebote, gegen das Schickliche und die Scham. Das Wagnis, Anfängliches sich zu unterstehen, da man schon lebensweit jenseits des Anfangs sich findet, ist bitter. Und da ist zum anderen das Machen selbst: Man tut nur kleine Aktionen – ein Hinzufügen, ein Drücken, ein Kneten, hie oder da, mehr oder weniger, fester oder sachter, langsam oder rascher –, ohne gleich ein Wollen durchs Ganze zu schicken, ohne die Abfolge dieser kleinen Resultate, dieser winzigen Abzweigungen des Möglichen auch nur im nächsten, geschweige denn im entferntesten zu überblicken. Im Zustande urteilsloser, gleichschwebender Aufmerksamkeit verharrt man im Moment, schafft nach und nach minimale Unterschiede, erzeugt kleine Vergangenheiten, vermindert zugleich die Zukunft, die hier, kaum dass es ja kaum begonnen hat, schon dicht und unvorhersehbar bleibt ob ihrer möglichen Verzweigungen. Was immer nachher ist, zittert nach vor Unwahrscheinlichkeit. Die Lust, gegen allen Ballast aus Ich und Kultur Anfänglichkeit, das Glück größter Potentialität im Kleinen sich zu gestatten, ist süß. Es braucht Bereitschaft, solche Bitternis und Süßigkeit zu goutieren.

Dr. Walter Lokau