Gruppe 83
"Die Erweiterung des Materials liegt im Denken"
Rede von Fritz Vehring
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Von einem Mit-Ausstellenden der mit der
Materie und den anderen Künstler Kollegen vielfach verstrickt ist,
dürfen Sie keine Laudatio erwarten, die das hier Gezeigte von einem
von außen kommenden gesicherten Standpunkt betrachtet.
Ich möchte Sie vielmehr mitnehmen auf einen
„Denkweg“, der Fragen aufwirft, der zum Nachfragen und Hinterfragen
auffordert.
Dr. Walter Lokau spricht in einem Pressetext
zum Zustandekommen und zur Entwicklung der Gruppe 83 von einer
„bindungslosen Gebundenheit“
Dieser scheinbare Widerspruch beschreibt
ziemlich treffend das Selbstverständnis, das sich in der Gruppe über
Jahrzehnte entwickelt hat.
Die Bindung an die AIC, die eine
Ausgangsbedingung für die Bildung der Gruppe 83 war, spielt heute
für uns eine untergeordnete Rolle.
Eine künstlerisch programmatische
Ausrichtung hat es zudem in der Gruppe nie gegeben. Aber gerade das
Fehlen eines programmatischen Anspruchs, erlaubte dem Einzelnen sich
zu entwickeln ohne dass dadurch die Gruppenzugehörigkeit in Frage
gestellt wurde.
Selbst die Materialbindung die zweifelsfrei
eine starke Klammer für unser Selbstverständnis war, ist heute kein
Apodiktum mehr wie die Malerei von Dieter Crumbiegel mit zwei
Bildern in dieser Ausstellung beweist.
Was sich aber als starker Kitt erwiesen hat,
der bis heute die Gruppe zusammen hält, sind Toleranz, Respekt und
Freundschaft.
So lässt sich die „bindungslose
Gebundenheit“ erklären mit der Dr. Walter Lokau die Struktur der
Gruppe 83 beschrieben hat.
Eine weitere Frage könnte sich zum Titel
dieser Ausstellung auftun.
Wie ist der Titel, „die Erweiterung des
Materials liegt im Denken“ zu verstehen?
Welche internen Diskussionen hat ein solcher
Titel ausgelöst und welche Verschiebungen ergeben sich bei der
Betrachtung eines Kunstwerkes durch die Einnahme eines anderen
Blickwinkels?
Welche konvergierenden Kräfte wirken, wenn
diese beiden Fragen mit einander verknüpft werden, ist vielleicht zu
erahnen.
Die Weite der Untersuchungen des Materials
und die Breite der hier vorgestellten Themen stützt die Intention
des Titels, aber auch die These der Gebundenheit im Material.
Die Ausstellungskonzeption der Galeristin
inszeniert die unterschiedlichen Künstlerpositionen in
Werkgruppen, aber im Zentrum der Ausstellung
treffen exemplarisch ausgewählte Werke verschiedener
Gruppenmitglieder zusammen. Es entsteht ein Diskurs der Werke
untereinander. Nachbarschaften fördern Beziehungen, Gemeinsamkeiten
und Differenzen.
Und es wird klar, dass dieses
Zusammentreffen der Arbeiten ganz andere, vorher nicht bemerkte
Verbindungen und Gedanken auslösen kann.
Es entsteht ein Effekt der den Wirkkräften
in den Farbbildern von Josef Albers nicht unähnlich ist. Albers
arbeitet in seiner Malerei mit dem Phänomen, dass Farben
nebeneinander gesetzt über sich hinaus strahlen und so etwas wie
Zwischenstufen und Grenzfarben hervorbringen, die, obwohl objektiv
nicht vorhanden, in unserer Wahrnehmung real werden. Josef Albers
formulierte hierzu die Erkenntnis: „Die Wahrheit ist der Schein“.
Wie in den Farbbeziehungen bei Albers
entstehen auch auf diesem Tisch der Begegnung neue Wahrheiten und
auch hier ist der Rezipient mit seiner Subjektivität gefordert. Bei
Shakespeare heißt es dazu: „die Schönheit liegt im Auge des
Betrachters“.
Lassen Sie sich ein auf das Spiel wie ein
Gedanke in den anderen überspringt oder sich im anderen
widerspiegelt. Wer sich jenseits gesicherter Wege auf das Abenteuer
Kunst einlässt, dem eröffnen sich ungeahnte neue Einsichten.
Fritz Vehring