"gebrannte Farben"

mit Ute Brade - Helmut Massenkeil - Johannes Nagel - Jean-Francois Thiérion - Masamichi Yoshikawa

Gedanken zur Ausstellung „gebrannte Farben”

Galerie Metzger, Johannesberg

14. Juni 2015

 

 Meine Damen und Herren, sehr geehrte Künstler,

 

Der niederländische Dichter K. Schippers schrieb 1975 folgendes Gedicht, betitelt

 

Die Entdeckung

 

 schaut man genau hin,

so sieht man, dass alles farbig ist

 

Ein Gemeinplatz vielleicht, aber trotzdem wichtig. Schauen Sie sich hier mal um: alles hat Farbe. Der Fußboden ist grau, die Wände sind weiß, Ihre Hosen sind… und Ihre Schuhe sind…..

Auch die Kunstwerke, die hier heute ausgestellt sind, haben ihre Farben. Sie sind von den Künstlern ausgewählt worden und sind Teil eines keramischen Körpers.

Den Farben ist etwas wichtiges passiert: sie sind gebrannt worden. Darin zeigt sich der wesentliche Unterschied zu den anderen bildenden Künsten: diese Farben sind durch einen Prozess zustande gekommen. Sie waren im Ofen und haben Temperaturen von vielleicht 900 bis 1300 Grad erlebt. Wenn man eine Leinwand bemalt, nimmt man Pigmente oder Farbe aus der Tube. Die Farbe, die aus der Tube kommt, ist die gleiche als die man nachher auf der Leinwand sieht. Der Künstler muss nicht warten, er sieht sofort, was kommt.

Bei der Keramik handelt es sich aber um ein für den Künstler verzögertes Farberlebnis. Der Künstler muss seiner Arbeit im Kopf die richtige Farbe zudenken. Um die gewünschte Farbe zu bekommen, muss er rechnen, ordnen, wiegen, zusammensetzen, anrühren und vor allem einschätzen und vertrauen, dass der Ofen es richten wird. Bevor die Farbe, die er haben möchte, erscheint, können Wochen vergangen sein.

Wenn das Kunstwerk aus dem Ofen kommt, hat auch die Form die Farbe geändert: Die Farbe wird auf der Form dreidimensional. Das heißt: sie wird fragmentarisch, nie sieht man sie vollständig, sie ist nur sukzessiv wahrnehmbar. Die Farbe hat sich im Ofen geändert, hat sich dynamisch bewogen. Jetzt ist es der Betrachter der sich bewegen muss um sie vollständig wahrzunehmen.

Die Farbe, die der Künstler im Kopf hat, kann das genaue Gegenteil sein von dem, was auf die ungebrannte Arbeit angebracht ist. Nehmen wir zum Beispiel die Glasuren die Masamichi Yoshikawa benutzt: bei der Arbeit muss er ein glänzendes, zärtlich hellblau im Kopf gesehen haben. Was vor ihm stand war aber ein mattes, stumpfes Rostrot. Diese Glasur, die Seihakuji-glasur, die an einen wolkenlosen Himmel oder an einen Gletscher erinnert, bewegt sich auf dem Objekt, sie schmilzt und schwimmt nach unten, bis der Künstler sie durch das Beenden des Brands ein Halt zuruft. 

Yoshikawas Farben sind verknüpft mit Erinnerungen, die blauen Zeichnungen im Porzellan nennt er sein Tagebuch. Sie sind überall, aber nicht immer sichtbar: manchmal sind sie sogar auf der Unterseite der Arbeit. Durch diese Zeichnungen sind die Objekte mit der Zeit verknüpft: sie sind Gefäße, die persönliche Geschichten und Spuren des Künstlers tragen.

Auch bei Johannes Nagel ist die Farbe inhaltlich mit dem Begriff Zeit verknüpft: seine Objekte sind entfremdete Gefäße. Die Farbe erinnert an ihre Oberfläche und ist eine Andeutung an etwas, das mal war, sich jetzt aber anders entwickelt hat. Manchmal sind sie schön, manchmal stoßen sie eher ab, sie spielen mit unseren Erinnerungen und unseren Erwartungen an Gefäß. Es kommt mir vor, als hätten sich die Gefäße einfach weiterentwickelt, als ob sie, sowohl physisch als inhaltlich, von der Drehscheibe geschleudert worden sind. Die Glasuren zeigen dieses turbulente Durchdrehen.

Dieser Turbulenz findet man auch in den großen Objekten von Jean Francois Thierion. Diese Objekte sind klare, eindeutige Bekenntnisse. Hier ist gemalt, und das ohne Hemmungen und Skrupel. Große lebendige Farbflächen, erkennbare Pinselstriche und Spritzer aus der Farbpistole. Die mannshohen Gefäße strotzen vor Kraft und purer Lebenslust. Die einfachen, archaisch anmutenden Formen verstärken die Kraft der Malerei.

Die Malerei, ihre Farben und ihren Gesten sind nicht nur der Leinwand vorbehalten. Seit Joseph Beuys seinen Studenten (negativ formuliert) verbot, auf Leinwand zu malen und damit, (positiv formuliert), den Weg freimachte für einen erweiterten Kunstbegriff, wissen Künstler, dass die Malerei sich auf vielen Materialen behaupten kann, ja sogar einen neuen Wert bekommen kann. Sie erweitert sich nicht nur materiell, sondern auch konzeptuell und das muss Beuys schon bei seinem Vorstoß zur Entgrenzung der Gattungen geahnt haben. „Jeder Mensch ist ein Künstler”, das kennen Sie natürlich. Man könnte in dem Sinne auch sagen: Jedes Material hat sein künstlerisches Potenzial. Es gilt, sie zu finden.

  

Und da, wie gesagt, alles seine Farbe hat, ist es nicht richtig nur von Glasuren und Engoben zu reden. Auch Ton hat Farbe. Wenn man sich die Arbeiten von Ute Brade oder Helmut Massenkeil genau anschaut, sieht man, dass Ton sehr viele, unterschiedliche Farben haben kann. Es ist meines Erachtens auch sehr verwunderlich, wenn Kritiker die Arbeiten von Ute Brade als „nicht farbig” einordnen und meinen, sie verzichte auf Farbe. Sie zeigt Farbe: und zwar die des Materials Ton. Es sind die ursprünglichsten Dinge, die hier gezeigt werden: Form und Farbe. Dreiecke, Kreise und Quader sind Urformen. Die Farbe des Tones ist eine Urfarbe. Spuren der Malerei sind auf den Tellern sichtbar, man fühlt durch die Malerei noch das Drehen der Scheibe, auf der sie entstanden sind. Bei Ute Brade gibt es keine Geschichten, Form und Farbe sind autonom. Das klingt nach Sparsamkeit und Strenge, bewirkt aber eine offene, warme, sinnliche Farbigkeit. Gerade das Festhalten an elementare Dinge schafft Raum für die Ästhetik des Materials. Es hat es einfach in sich. Je minimaler die Arbeit ist, desto maximaler wird die Farbe.

Auch Helmut Massenkeil benutzt die Farbe unterschiedlicher Tone, die er durch den Brand und durch Polieren und Schleifen ändert. Mit eingefärbtem und mitgebranntem Kalk entstehen zarte Spuren von Malerei. Bei diesen Arbeiten ist es nicht nur die Farbe oder der Betrachter, die sich bewegen, sondern auch die Form. Diese Wippen, eine wichtige Form in Massenkeils Oeuvre, deutet auf den Prozess des Balancierens hin. Es ist ein Sinnbild für die Suche nach dem Gleichgewicht. Ebenso kann man sagen: es ist ein Bild für den dynamischen keramischen Prozess, für die Suche nach dem Gleichgewicht zwischen Form und Farbe.

 

Alles in der Welt hat Farbe. Sie bewegt sich sogar. Mit diesem Galileischen Gedanke bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit und erkläre ich die Ausstellung für eröffnet.

Nele van Wieringen

Juni 2015