Das Werden der Dinge
Hans Fischer - Johannes Nagel - Wang Qi
in der
Galerie Metzger vom
19.04. - 10.05.15
Rede von Dr. Walter Lokau
Meine Damen & Herren,
ein Ausstellungsschmaus hier in der Galerie Metzger,
wenngleich mit herber, eigentümlicher, vielleicht für den einen oder
die andere fremdschmeckender Keramikkost, aber dieser oder jene
hätte dann immerhin schon etwas wichtiges bemerkt… Dabei hoffe ich,
dass Angelika Metzgers Erziehungswerk über die bald 20 Jahre ihres
Galerie-Engagements dann etwas gefruchtet hat… Nichtsdestotrotz: Ich
hole, Ihnen das gebotene Menü goutier barer zu machen, zunächst ein
wenig historisch aus, wie es so meine Art ist, bereite die
obligate Beilage von Geschichtssalat an Befremdlichem…
Mit einem Blick und Wort: Beunruhigende Schönheiten
oder schöne Beunruhigungen bietet diese Ausstellung vom
Werden der Dinge. Das war in Keramikausstellungen nicht immer so,
muss es auch heute nicht sein – doch früher fand man in solchen
Schauen stets das Gegenteil: beruhigende Schönheit nämlich…:
Wie das? Was hat sich geändert?
Das Metier der Keramik verbinden wir im Allgemeinen mit
Handwerk, mit Wissen um Materien, mit Beherrschung von Techniken und
Technologien, mit Fertigkeiten und Können, im höchsten Falle mit
Meisterschaft, die eben jene Spitzenleistungen hervorbringt, von
denen die keramische Szene besonders in West-Deutschland
jahrzehntelang ästhetisch zehrte und, ganz unverächtlich, finanziell
auch lebte. Der Zug zur, ich bitte den Begriff nicht abwertend zu
verstehen, „Hochleistungskeramik“ beherrschte die westdeutsche
Keramik nach 1945, im Gange war über Jahrzehnte eine Art von
elitärem Überbietungswettbewerb, in dem Ränge und Plätze der
Schaffenden erarbeitet und ermittelt wurden: Noch reiner das
Material, noch höher die Brenntemperaturen, noch perfekter die
Formen, noch makelloser die Glasuren, noch vollkommener, edler das
Gefäß – der Komparativ hin zu einem ultimativen Superlativ war die
Lebensatmosphäre des Genres, die die immer anspruchsvoller werdenden
Sammler begierig, süchtig schier sogen und hemmungslos eine
Perfektion bewunderten, die einem garantierte, auf der richtigen
Seite zu sein, und beruhigende Maßstäbe vorgab, an die alle sich
halten konnten. Eine keramische Welt, die so sich orientiert, ist im
Grunde einfach gestrickt. Man wußte, was man zu wollen hatte! Es
blieb allenfalls die süße Qual der Wahl: „Von diesem oder jener ein
Stück, diese oder jene Arbeit…?!“ In einem kamen auch die größten
Antipoden unter den Keramikern überein: Ein Niveau
handwerklich-technischer Art zu unterschreiten, gewisse
handwerklich-technische Kriterien gar absichtlich zu
vernachlässigen, das kam nicht in Frage, im Gegenteil – es galt ja
das Gebot des Komparativs. Es gab heilige Verbindlichkeiten und an
die wurde sich gehalten. Damals war die keramische Welt noch in
Ordnung – doch dahin sind diese simplen Zeiten: das langsam, aber
desto unkittbarer splitternde Craquelée der Moderne zerriß spät auch
die heile Welt der Keramik wie alle Welt vorher schon überhaupt...
Für manchen altgedienten Keramophilen oder vom Bazillus
Ceramicus Befallenen mag es nun erstaunlich, fast unannehmbar
klingen, was ich im Folgenden resümiere. Deshalb nochmals meine
Versicherung, dass ich solche Schlussfolgerung nicht despektierlich
meine: Wer, wenn nicht ich, hätte den allergrößten Respekt vor den
Hervorbringungen just jener Generation von Nachkriegskeramikern...?!
Nicht wenige ihrer Gefäße zählen zu meinen liebsten… Dennoch: Was
als Reichtum und Güte an Formen und Techniken der
„Hochleistungskeramik“ obenhin erschien, diese Forcierung von
Handwerk und Technik wie auch der formale Manierismus, die man an
jenen einstmals einfachen Gebrauchsgegenstand Gefäß – und darum ging
es vornehmlich – wandte, um es zu nie gesehenen Blüten zu treiben,
all dies verweist auf einen inneren Mangel der Sache. Das
hochgezüchtete Gewächs des handgearbeiteten Gefäßes war historisch
sinn- und zwecklos geworden, es hatte seinen sinnträchtigen Boden
verloren. Da das Gefäß nicht von einem Gebrauch mehr bestimmt werden
konnte, eröffnete just diese Bestimmungslosigkeit, diese Leerstelle
von Sinn die Möglichkeit des frei gebildeten Gefäßes – das Gefäß
wurde gleichsam ein Manierismus, ein schöner Schnörkel seiner
selbst. Die recht eigentlich bange Frage angesichts dieser
unerfüllbaren Hohlheit des Gefäßes lautete: „Wie kommt noch man zu
einer Form?“ Und die selbstgewisse, aber auch ein wenig
selbstgerechte Antwort lautete: Man macht die Form
handwerklich-technisch so extrem beherrscht wie nur irgend möglich.
Man überging die innere Leere mit technischer Rationalität und Fleiß
und erzeugte eine saubere, glatte, beruhigende Schönheit. So wurde
Keramik zu einem äußerst speziellen, sehr künstlichen, wunderbar
artifiziellen Sammelgut, heißbegehrt von einem kleinen Kreis
hochspezialisierter Sammler. Man zelebrierte, sich fortgesetzt
selbst bestätigend, die eigene Kunstfertigkeit in endlosen sich
immer höher und enger schraubenden Variationen eines Themas, an dem
man festhielt wie an etwas vollkommen Zweifellosen. Doch diese
Fixierung hatte ihren blinden Fleck: Denn geflissentlich übersah man
dabei, dass das vermeintlich Zweifellose zuinnerst zweifelhaft
geworden war…
Wenn
man die Geschichte so betrachtet, dann stellt sich die Frage: Warum
diese fatale Engführung des Themas? Warum diese Entscheidung? Warum
nicht andere? Da es ein Zurück zu jenen glücklichen Zeiten, da ein
Gefäß einfach dazu diente, wozu es gemacht worden war, nicht gibt,
man also jene innere Leere des Themas nicht mehr zu füllen
vermochte, musste früher oder später offenbar werden, dass der Zwang
zur Perfektion eine im Grunde grundlose Behauptung war, eine
dogmatische Einschränkung von prinzipiell möglichen, anderen
Möglichkeiten, eine rigide Reduktion von Komplexität, eine
versichernde Vereinfachung, die in ihrem fast zwanghaften Festhalten
an hergebrachten Werten die Krise des eigenen Tuns nicht
thematisieren konnte sondern ihr lediglich auswich. Was sich für die
künstlerische, gesellschaftliche, sogar für die wissenschaftliche
Moderne überhaupt feststellen läßt, davon blieb nämlich auch das
Feld der Keramik geschichtlich nicht verschont: Einst für
verbindlich erachtete Größen, Kategorien, Maßstäbe, Werte büßten
ihren Status mitunter sakrosankter Absolutheit ein, sind, wenn sie
nicht als schiere Ideologie völlig verworfen wurden, erniedrigt zu
Möglichkeiten unter anderen Möglichkeiten, weil ihre Notwendigkeit
in letzter, absoluter Instanz nicht mehr zu begründen war. Wie
überhaupt in der Welt der Moderne steht dieser Relativierung an
Glaubenssätzen und Verlust von Gewissheiten der Gewinn an
Freiheit gegenüber – der Preis für diesen maßlosen Zugewinn an
Freiheit ist allerdings Unsicherheit – Unsicherheit auf
Seiten der Künstler, denen die Grundlagen ihres Tuns geschwunden
sind, Unsicherheit aber auch auf Seiten der Betrachter, denen die
Maßstäbe der Beurteilung abhanden gekommen sind. Dabei sind
zumindest die Künstler in der Lage, ihre Unsicherheit zu
reflektieren: Ein schwarzes Quadrat zu malen, oder wenn wir die
Abfolge der -Ismen durchgehen: impressionistisch, expressionistisch,
kubistisch, surrealistisch, abstrakt zu malen, ist weder die
Offenbarung einer neuen Wahrheit noch Witz noch Provokation: Es ist
nur der Versuch, zu zeigen, daß das Hergebrachte fragwürdig geworden
ist, indem man anderen Regeln als den bisher gültigen folgt. Wo
verbindliche Regeln grundsätzlich verloren gegangen sind,
können nicht einfach neue Regeln zu ewigen Gesetzen erhoben werden:
Neue Regeln bleiben experimentelle Anordnungen, vorübergehende,
provisorische Versuche. Dies zu wissen und trotzdem
weiterzuarbeiten, das ist die eigentliche Härte der Moderne, eine
Härte, ein Widerstand in der Sache selbst, von einer zeitgenössisch
irritierten, unverständigen, auf Regeln und Ordnung bestehenden
Öffentlichkeit nur zu gerne als Frechheit, Willkür, Beliebigkeit,
Scharlatanerie, Betrug oder schlechter Witz in den Arbeiten
missverstanden – vergehen
freilich einige Jahrzehnte, wird oft selbst das Beunruhigendste
konsumierbar – bezeichnender Umschlag, der mit dem ursprünglich
Verstörenden gar nichts mehr zu tun hat… Ich gebe freilich zu: Die
Grenze zwischen guter und schlechter moderner Kunst ist oft haarfein
und durchaus nicht unabhängig von Zeit und Kontext...
Doch zurück zur Keramik: Wir befinden uns auch hier längst in einem
unhierarchischen weiten Feld von Möglichkeiten – niemand käme
hier vermutlich noch auf die Idee, von Wettbewerb und Eliten zu
sprechen, von feststehenden Normen und Werten. Das Schicksal der
Moderne traf auch die Keramik, spät aber doch: Können und Wissen, so
nötig sie gerade im Bereich der Keramik sind – Keramik verzeiht
nichts: Wer hier nichts kann und weiß, hat auch keine Möglichkeiten
– Können und Wissen allein aber verbürgen nichts und beruhigen nicht
mehr. Möglicher Ausgangspunkt kann nun auch hier Ungewissheit und
Zweifel sein, nicht ausschließlich mehr das selbstgefällige
Vermögen sondern ein Gefühl abgründigen Unvermögens. Und man kann
durch ungewöhnliche Arbeitsentscheidungen diese Ungewissheit im Werk
selbst spürbar machen. Die leitende Frage lautet dann nicht mehr:
„Wie mache, wie beherrsche ich eine Form?“, sondern „Wie lasse
ich eine Form werden?“ oder kurz: „Was überhaupt ist eine Form?“
Damit wären wir beim Titel unserer Ausstellung: „Das Werden
der Dinge“ – da Keramik sonst eher mit Machen und Wollen verbunden,
das Werden aber natürlichen, kreatürlichen, unwillentlichen
Prozessen und Entwicklungen zugeordnet wird, ist es verwunderlich zu
vernehmen, dass Keramik „wird“.– das Maß des Werden-Lassens
freilich bestimmt jeder auf seine Weise, versuchen wir den Dreien
auf ihren Wegen zu folgen…
Der Extremste der drei ist der freundliche und stille Hans
Fischer, Jahrgang 1957, seit 1983 mit Ehefrau Maria in
gemeinsamer Werkstatt in Passau tätig, auch ein braver Töpfer, der
sich als einstiger Schüler von Jörg von Manz der unzeitgemäßen
Tradition des irdenen Geschirrs verschrieben hat in eigenwilliger
Variation niederbayerischer Hafnerware. Doch neben oder über oder
unter der Gebrauchsware passiert ihm Anderes, entstehen ihm seltsame
Gebilde – ich sage mit Bedacht nicht, dass er sie mache... –,
Gebilde, die den Versuch, mit Sprache sich Ihnen zu nähern, gleich
stocken, zaudern, schließlich versiegen lassen, als so vergeblich
erweist es sich, diesen Formen Namen zu geben, Begriffe beizulegen,
Wörter anzuheften – das Haftende des Bezeichnens, der Klebstoff der
Referenz, mit dem wir sonst meinen, benannte Welt und Dinge sicher
und gewandt begreifen zu können, hinterlässt noch nicht einmal
Flecken von Verständnis auf den matten, oft unrein monochromen,
neuerdings auch hie und da partienweise farbig bemalten
Engobe-Oberflächen – wir bleiben vor diesen Formen blöde,
ohnmächtig, infantil im Wortsinn, nicht der Sprache mächtig,
ausgeliefert einer Materie, die wir zwar unabweislich wahrnehmen,
die uns aber nichts sagt und zu der wir nichts sagen können –
Materie, nicht Ding oder Wesen noch Figur, da vermittelt, versöhnt
nichts… Wir scheinen im Augenblick mit Unzulänglichkeit geschlagen,
da sich Geknetetes tentakelartig schlingt, Körperartiges sich
erhebt, Landschaftliches sich breitet oder bläht mit Ballungen von
Knollen, Urzustände von Werdendem oder Reste von Vergehendem, vor
allen Namen noch oder schon nach ihnen, ein gutes Stück jenseits
oder diesseits solch gängiger Unterscheidungen wie Stoff und Form,
Teil und Ganzes, Innen und Außen, Körper und Hülle, Organisches und
Anorganisches, Lebendiges und Totes, noch nicht oder schon nicht
mehr – und eben darum faszinierend, nicht nachlassend zu
faszinieren, fremd, befremdlich, beunruhigend, manches vielleicht
sogar von grässlicher Schönheit, die man aushält oder sich abwendet,
sich zurückwünschend in die vertraute Welt der entschiedenen Namen
und Begriffe, des Verstehens. Man mag diese Abweisung aller Natur
oder Kultur nicht ertragen, doch bleibt dies' namenlose Etwas da…
Und nun stellen Sie sich vor, unvorstellbare Zumutung, Sie müssten
derlei machen! Machen Sie sich eine Vorstellung von der radikalen
Schwierigkeit des Unterfangens Hans Fischers, haben Sie eine Ahnung
von der schier unmöglichen Lage, in die der Keramiker sich bei
seiner Arbeit bringt? Wo wir vor seinen Arbeiten enden, in jener
beklemmenden, vielleicht auch befreienden Sprachlosigkeit, da liegt
das Beginnen einer solchen Arbeit, ein unhaltbarer, paradoxer
Zustand, noch vor allen bezeichnenden Unterscheidungen, vor Ja oder
Nein, eine Art von Besinnungslosigkeit, die den allgemeinen Zwang
zum Sinn außen vor zu halten sucht, gewillt allein, den betörenden
Versuchungen des Bestimmens nicht nachzugeben, das Machen so weit
als möglich und so lange wie möglich vor den sich anbietenden
Entscheidungen zu halten, nur zu machen und nichts außerdem, um auf
das Rätsel einer körperhaft gebildeten Materie zu stoßen, ein
Reales, keinem Symbolischem einnehmbar, Darstellung von etwas, das
als solches undarstellbar, unwiedergebbar, unübersetzbar bleibt. So
sehr dem Keramiker dabei das Proteische, selbst Gestaltlose des
Materials Ton zupass kommt – vielleicht wäre solches begriffsblinde
Bilden in keinem anderen Material machbar –, so sehr leistet ihm die
Zeit des Machens Widerstand: Wie lange lassen sich, Bätzchen um
Bätzchen, Strang um Strang, Klumpen um Klumpen ein Bewusstsein von
diesem, der Willen zu jenem, Entscheidung für dieses und gegen
jenes, Sinn und Name verschieben und hinauszögern…? Und mehr als
Aufschub ist dabei nicht drin: Hans Fischer wird mir nicht
widersprechen, wenn ich behaupte, dass in allen seinen Arbeiten am
Ende ein Scheitern auch manifest wird – dass sie nach ihrem Ende aber
wiederum alles Gewisse aufzulösen vermögen, das macht ihr Gelingen,
ihr Erlösendes aus…
Thematisch gebundener, freilich kaum weniger extrem, ja
experimenteller noch geht der einstige Absolvent der Burg
Giebichenstein in Halle, Johannes Nagel vor, heute ebenda
auch lehrend. Der 1979 Geborene hat sich einem klassischen Thema der
Keramik verschrieben, dem Porzellan-Gefäß. Was allerdings so benannt
beruhigend sich ausnimmt, ist tatsächlich nur wiederum geeignet zu
verstören, das Fragwürdige der Sache hervorzukehren. Nicht geht es
Johannes Nagel um die saubere, handwerklich beherrschte Herstellung
eines Zweckgegenstandes. In einem für das Metier des Gefäßes äußerst
seltenen Geste der Reflexion rückt er das vermeintlich Gewohnte in
eine Distanz, in ein provoziertes Daneben, in eine riskante
Entstellung. Im Grunde macht er keine Gefäße, er lässt vielmehr
Darstellungen von Gefäßes entstehen, Nachbilder, die mit
herkömmlichen Vasen-Formen spielen, sie zugleich aber karikieren,
verzerren, verunreinigen, verunklären, ihre Aura, ihr Wertvolles,
ihre Herstellung ins Bizarre verfemdem – höchst sinnliche
Denkobjekte von geradezu rabiater Materialität, die über Tradition,
Zweck und Sinn und die Gefäße konstituierenden Elemente sinnen
lassen. Der Keramiker nutzt hierfür das technisch aufwendige und
gleichwohl höchst unpräzise Verfahren des Sandgusses: Mit den Händen
buddelnd gräbt er in einer Sandkiste eine Gefäßform aus – das
Rieselnde des Sandes und die von außen nicht kontrollierbare
Innenform, instabiles, schließlich wieder zusammenfallendes Ur-Bild
des Gefäßes, verhindern jegliche handwerkliche Genauigkeit. Mit
flüssigem Porzellan ausgegossen erhält man eine Positiv-Form, die
getreulich die Ausgrabung abbildet mitsamt allen Unschärfen und
Unreinheiten, Fehlstellen und Makeln, sogar mit anhaftendem Sand.
Schließlich glasiert, bemalt, mit Gold belegt bieten die
Vasen-Abbilder alles, was einst an keramischen Gefäßen in edler
Perfektion bewundert wurde, allerdings zeigen sich diese Elemente in
gelassen verunglückter Gestalt. Noch die Idee des
kunsthandwerklichen Unikats, des Originals und seine meisterliche
Herstellung büßen in dem kuriosen Abguss ihre Reinheit und Raffinesse,
werden bis ins Groteske verfremdet. Johannes Nagel besteht auf dem
Begriff der Improvisation, die jeder Perfektion entgegenwirkt, einst
geschätzte Werte ins Gegenteil wendet, als schieres Gegenbild werden
lässt, rauh, verformt, fehlerhaft, gemessen an einstigen Kanon schier
missraten. Dass unter der Hand dabei oft eine andere Art von Schönheit
entsteht, regellos und unvorhersehbar, erscheint wie der Gipfel der
Ironie, die in der begeisterten Umwertung aller keramischen Werte
nach Form und Sinn des zeitgenössischen Gefäßes fragt.
Der Chinese Wang Qi schließlich – last but not least
–, nach Keramikstudium in Peking machte er sein Diplom am Institut
für künstlerische Keramik in Höhr-Grenzhausen, geht in seiner Arbeit
gleichfalls weniger von Gewissheiten als vielmehr von kaum mehr als
einer vagen Vorstellung, der Ahnung einer Form aus. Die aus
verhältnismäßig starken Platten montierten, vielfach gebrochenen,
wie kubistische Kompositionen wirkenden Steinzeug-Gefäße oder
-objekte, oft leicht nach oben
sich schließend und changierend graugrün oder ocker glasiert,
des 1972 Geborenen, heute an der Kunstakademie von Guangzhou in
Südchina lehrend, entstehen als eine stringente Kette von
aufeinander folgenden Entscheidungen, die Schritt um Schritt Platte
an Platte, Bruchstück an Bruchstück aufeinanderfügen, doch immer mit
zögernder Rücksicht auf das schon Gefügte reagierend. Zug um Zug
braucht es eine Lücke, einen Hiatus, ein Innehalten, was die
Stringenz wie die Wörter eines Satzes unterbricht, um nachträglich
überhaupt Sinn zu machen. Diese a-konstruktive, sich bis zu einer
endgültigen Form vorantastende Arbeitsweise bringt es unvermeidlich
mit sich, dass das fertige Gefäß, die vollendete Form nicht bis ins
Letzte vorhersehbar ist, nicht planbar oder konzipierbar ist,
sondern erst im Zuge der Arbeit langsam wird. Den Versuch, durch
Zeichnungen das Ende vorwegzunehmen, hat Wang Qi rasch wieder
aufgegeben – das Ziel kann nur der Weg sein, wobei die Zukunft
eigenwillig uneinsehbar bleibt: Die Gesamtheit der getroffenen
Entscheidungen kann zwar retrospektiv, in die Vergangenheit
zurückverfolgt, niemals aber prospektiv, in die Zukunft überblickt
werden. Was als Ergebnis wie hart gefügte Notwendigkeit einer
lückenlosen Syntax erscheint, ist zu Beginn das genaue Gegenteil:
die Offenheit reiner Möglichkeit, die als merkliche Kontingenz noch
durch den fertigen Bau des Gefäßes pulst. Kleinere Arbeiten sind in
noch weit größerem Maße improvisiert: Schnelle plastische Skizzen
kleiner Architekturen – in nur wenigen Gefäßen wiederholt er
zufällig gesehene Graffitis, die er von Hauswänden und Mauern
stibitzt und als auf kompakten Gefäßen transportabel macht.
Zweifel, Ungewissheit, Improvisation – das technische Denken
fürchtet sie, wie der der Teufel das Weihwasser, sucht sie um jeden
Preis auszuschalten. Dabei wissen wir alle, dass dieses zwanghafte
Bemühen einer rigiden Rationalität eine sehr unrealistische Haltung
dem Werden der Dinge, der Welt, dem Leben gegenüber ist: Unfälle
passieren, das Leben verputzt selten Gussnähte und Kanten,
Goldauflagen blättern schnell – das Unvorhergesehene ist dem Werden
der Dinge von vornherein eingeschrieben, Gelingen und Glück selbst
nur eine Sonderform des Unglücks. Und am Ende wird der Zufall
fruchtbarer, amüsanter, interessanter gewesen sein als alles
kleinliche Kalkül. Man kann an dieser Keramik fürs Leben lernen: Im
Voraus ist unmöglich zu wissen, was da sein wird…
Dr. Walter Lokau
Hans Fischer - Johannes Nagel - Wang Qi