„serendipity“
Klaus Lehmann in der Galerie Metzger am 23.03.2014
Respekt – Anerkennung – Bewunderung – ja: Dankbarkeit – das sind die
Haltungen, die aus all den Statements hervorgehen, die
Künstlerkolleginnen und -kollegen zu Klaus Lehmann im Vorfeld dieser
Ausstellung abgegeben haben. Ich schätze mal, Klaus Lehmann hört das
gar nicht gerne. Mit einer Mischung aus Verlegenheit und unwirscher
Ablehnung wird er davon eher gar nichts hören wollen. Diese Art
Scheinwerferlicht auf seiner Person erträgt der Bildhauer eigentlich
überhaupt nicht.
Trotzdem möchte ich gerne fragen, WOFÜR man Klaus Lehmann denn
diesen Respekt, die Anerkennung und die Bewunderung zollt. –
Sie alle werden seinen Werdegang mehr oder weniger kennen. Wie er
sich, ursprünglich von der Pädagogik her kommend, Anfang der 1950er
Jahre dem Ton zuwendet. Zögerlich eher, wenig enthusiastisch. Wie er
über die Jahre zum „Tonmensch“ wird, wie er einst selbst sagte. Wie
ihm die fortwährende Arbeit im Atelier zur Aufgabe, zum
gewichtigsten Lebensinhalt wird. Wie er dort die Befragung des
Lebens vornimmt nach Sinn oder Nicht-Sinn, nach dessen möglichem
oder eingebildetem Zweck. Wie er dort alles veratmet, was ihm in
diesem Leben begegnet: Liebe, Schmerz, Entdeckerfreude, Einsamkeit,
Begegnungen, Nicht-Weiter–Wissen, Aufbrüche, Abschiede. Weil er dort
alles prüft: Neue Perspektiven, beruhigende Formulierungen,
verstörende Erkenntnisse, mögliche Auswege, gewagte Entgrenzungen. –
Findet er Antworten? - Man mag vermuten: Er sucht sie gar nicht. –
Vielleicht ist das, was ich am meisten an ihm bewundere: Diese
beharrliche Verweigerung, den verlockenden Sirenen zu folgen, die
einem immer wieder zuraunen, dass es Antworten, dass es Lösungen
gäbe. Dass er vielmehr die Leere, vielleicht auch das Unsagbare,
umkreist, sich annähert und entfernt. Und wie er das aushält: Ein
Leben lang von einer Schiffsplanke zur anderen zu springen, wissend,
dass jedes Floß, das er sich daraus zimmern würde, doch nur dem
nächsten Lebenssturm anheimfiele.
Trotzdem braucht es Überlebensstrategien. Denn das Leben ist
durchaus schön. Ein Lebenselixier ist für Lehmann ganz sicherlich
das Schaffen anderer Künstler, das er sehr genau beobachtet. Von ihm
geachtete Kolleginnen und Kollegen und deren Arbeiten verfolgt er
mit großer Aufmerksamkeit und Anteilnahme. Er ist sehr gut
informiert, ein Kulturmensch durch und durch und beschämt einen
immer wieder durch sein Wissen und durch seine immer wieder
entzündbare Begeisterungsfähigkeit - eine Charaktereigenschaft, die
man gemeinhin jungen Menschen zuschreibt und die sich bei den
meisten Menschen im Alter zu verlieren droht. Egal ob bildende Kunst
oder - ganz wichtig - die Literatur, auch die Lyrik und die Musik:
Lehmann steht im inneren Austausch mit anderen Suchenden, die er
untrüglich erkennt und zu sich nimmt. Sein Herz schlägt für die
Verweigerer und die Unbequemen, die sich am Leben wund scheuern und
nicht daran mästen. Wie eine innere Familie sind sie um seinen Tisch
versammelt. In Form von Katalogen und Büchern, Einladungskarten,
Bildern und Objekten. Tägliche stille Zwiesprache mit diesen scheint
neben der eigenen Form- und Ausdrucksfindung Bestandteil seines
künstlerischen Tagwerkes. Und genauso stelle ich mir seine Arbeit
vor: Ganz unspektakulär, als Tagwerk. Er macht, was er kann und was
ihn am Leben hält. Fragen stellen, Erkenntnisse prüfen und
(vielleicht) neue Fragen finden. –
Da gibt es die Geschichte der drei Prinzen von Serendip. Die drei
hochgebildeten jungen Männer werden von ihrem königlichen Vater auf
eine Wanderschaft geschickt, um ihre Ausbildung zu vervollkommenen,
bevor sie die Regenschaft von ihm übernehmen sollen. Was sie aus
Büchern erlernten, soll sich nun auf ihrer Reise mit Leben füllen.
Was suchen sie also? Die Erfahrung, die Erprobung, den
Erkenntnisgewinn, das Erleben und damit: nichts Bestimmtes. Und doch
nicht mehr oder weniger als: die Weisheit. Sie sind deshalb
aufmerksam, offen und mit Wissen ausgestattet. Auf ihrer mäandernden
Reise stoßen sie allenthalben auf Aufgaben, lösen Rätsel, beobachten
das Wichtige, ziehen Schlüsse, erkennen das Übersehene, raten das
Richtige. Offenheit, Sorgfalt, Klugheit und Scharfsinn führen sie zu
wichtigen Entdeckungen. Die immer wieder auftretenden,
unvorhersehbaren Wendungen ihrer Wege, der Zufall also, spielt in
der Geschichte die Rolle des wohlmeinenden Störenfrieds, der als
solcher akzeptiert wird. Doch braucht der Zufall den genauen
Beobachter, um daraus eine Erkenntnis abzuleiten.
Die umfangreiche Fabel der drei Prinzen von Serendip geht auf den
indisch-persischen Dichter und Musikwissenschaftler Amir Kushro
(gestorben 1325 in Dehli) zurück. Seit dem 18 Jahrhundert ist im
Westen der Begriff der Serendipität (engl. serendipity) als ein Weg
der Erkenntnisgewinnung eingeführt. „Serendipity“ hat Klaus Lehmann
diese Ausstellung überschrieben. Und fand in seinem Oxford
Dictionary die Definition: „The occurrence
and development of events by chance in a happy or beneficial way.”
Das klingt ihm persönlich nach ein bisschen zu viel Geschenk, das
einem aus dem sprichwörtlichen Himmel in den Schoß fällt. Und er
betont: „Das wirklich Wichtige dabei ist, dass man auch
tatsächlich und ernsthaft nach etwas sucht.“ Um dann durch
Offenheit, Sorgfalt und Klugheit – vielleicht - etwas ganz anderes
zu finden zu können.
Wie die hier ausgestellten Arbeiten zeigen, hat das Maß der
Offenheit bei Klaus Lehmann durch die Jahre deutlich zugenommen. Und
so mag der Begriff der „serendipity“ auch nicht für alle Arbeiten im
gleichen Maße gelten. Bei den früheren Plastiken ist ein planvolles
Vorgehen sehr wohl erkennbar. Es zielt von Beginn an auf die
schlussendlich gewonnene Gestalt ab. Diese Gestaltung folgt einer
strengen, ästhetisch-asketischen Maxime. Doch mit den Jahren
verliert sich die Nachvollziehbarkeit zunehmend. Und obwohl man den
Menschen bei zunehmendem Alter gerne das Gegenteil nachsagt: Der
alte Lehmann ist radikaler als der Junge. Und der alte Lehmann
schließt nicht ab, sondern macht auf. Ganz radikal ist sein Bruch zu
Beginn der 90er Jahre, mit dem er viele Sammler und Freunde
regelrecht verschreckte. Hatte man sich doch in seine wundervoll
kargen, mit präziser Knappheit formulierten Ummantelungen der Leere
hineingeliebt. Nicht nur die Architekten unter den Kunstfreunden
waren entzückt. Der Zusammenfall von intimem Format und monumentaler
Aussage suchte seinesgleichen. Seine kargen Kästen wirken wohltuend,
wie visuelle Läuterungen in einer übervollen, überlauten
All-you-can-eat-Gesellschaft. Wie Wanderikonen wirken die
kleinformatigen Tonplastiken überall wo sie auftauchen gleich
wohltuend, da sie helfen, sich auf das Wesentliche, auf die Stille
und die Essenz hinter allem Tumult zu konzentrieren. Sie sind
Rückzugsorte des Geistes. Verheißen Ungestörtheit für
Erkenntnissuchende. Bieten denen Heimat, denen Stille nicht Ödnis,
sondern Trost verheißt.
Doch dann kommt der Bruch. Amorphe, anarchische Gebilde entstehen –
keine Ruhe, kein Gesetz, keine Zuflucht, kein Glaube mehr an die
ordnende Symmetrie, nur mehr Unvorhersehbares. Mitten im scheinbar
ungeformten Chaos dann hie und da Elemente der Ordnung, des
Gebauten, Gefügten, die wieder hineinstrudeln ins Ungeformte. - Alle
waren beunruhigt. Außer dem Bildhauer. Er schien glücklich.
Tatsächlich war er wohl gerettet. Denn heute sagt er: „Ich wusste
damals nicht mehr weiter. Ich stand künstlerisch mit dem Rücken zur
Wand.“ Es war der Zufall, der ihn in eine Ausstellung von Heinz
Breloh führte. Und es ist Lehmanns Offenheit, Sorgfalt, Klugheit und
seinem Scharfsinn zu verdanken, dass er daraus eine Erkenntnis für
sich ableitete. Sozusagen auf dem Absatz dreht er sich um und
beschritt einen neuen Weg. Zögernd folgte das Publikum. Unbeirrbar
ging der Künstler weiter. Seine Kompromisslosigkeit paart sich mit
einer stillen Beharrlichkeit. Seine schon angesprochene Radikalität
mit einem auf den eigenen Weg bezogenen Insistieren. Merkwürdig: Mit
anderen Menschen scheint Lehmann im Alter zunehmend milder geworden
zu sein. Mit seinem eigenen Werk jedoch zunehmend kompromissloser:
Mit 70 Jahren erfand er sich selbst neu.
Hier rührt ein Großteil der Verehrung her, die ihm vor allem auch
aus Künstlerkreisen entgegenschlägt. Wohl war: Er war mit Robert
Sturm und Beate Kuhn eine DER drei Persönlichkeiten, die der Keramik
nach 1950 aus ihrer Festlegung aufs Gefäß und Angewandte, höchstens
noch Dekorative heraus einen Weg in die Plastik und die Welt der
freien Kunst bahnten. “Offenheit“, „immer an der äußersten Grenze“
nennen die Kolleginnen und Kollegen als typisch für ihn und das gilt
damals schon. Auch dafür schlägt Lehmann sehr berechtigt und viel
Anerkennung entgegen. Aber dann ist es eben diese selten so gesehen
Konsequenz, mit der er seiner künstlerischen Fragestellung folgt.
Und deshalb attestiert man ihm weiter:„Brüche, Veränderungen und
Neuanfänge“, dass er „Haken schlage“ und „immer wieder neu den
Schritt ins Unsichere, Ungewisse tut“, „die Suche nach neuen
Räumen“, die „nie bestimmt ist von der Suche nach Erfolg,
Anerkennung oder Zeitgeist“.
Schließlich aber ist es neben seiner Glaubwürdigkeit und
Authentizität die künstlerische Qualität seiner Arbeiten selbst. Bei
allen Haken und Brüchen sei er „präzise und dem Material
entsprechend“, es gibt „keine Schlamperei, keine Zufälle“. Lehmann
hat das kleine Format ausgelotet und visuell überwunden wie kein
Zweiter, sowohl formal als auch malerisch. Denn seine Arbeiten
wirken niemals klein: Sie vermitteln das Gewicht von Tonnen und die
Ausmaße von Landschaften und Architekturen. Wiewohl er große
Bewunderung für die raumgreifenden Arbeiten eines Tony Cragg, Nobert
Prangenberg oder auch etwa Heinz Breloh hat: Lehmann wählte das
kleine Format, weil es die größte Freiheit für ihn beinhaltet: Er
kann alles selbst und alleine bewältigen, bestimmen, verändern. Und
selten sah man Keramik, die malerisch so frei und doch absolut
sachkundig behandelt wurde. Die immer wieder attestierte Intimität
von Lehmanns Arbeiten liegt m.E. weniger im Format als vielmehr in
der malerischen Durchdringung jedes Quadratzentimeters, oftmals
mehrfach übereinander. Er arbeitet dabei mit Farbkörpern, Engoben
und Glasuren, die er mit dem Pinsel aufträgt, anschüttet oder
taucht. Die Formen werden dadurch unglaublich intensiviert,
zusammengefasst und aufgeladen.
In dieser Dichte leisteten die vorgenannten, Lehmann als Landmarken
dienenden Künstler meiner Meinung nach bei weitem weniger und genau
da sind deren Arbeiten auch bei weitem schwächer: in der
eindringlichen Verschränkung von Form und farbiger Fassung. Lehmann
kennt sein Material in- und auswendig. Hat er seine Frage gefunden,
weiß er sie zu formulieren und zu fassen. Und diese Form und Fassung
ist an intensiver Durchdringung geistig wie handwerklich kaum zu
überbieten.
Mit Ihnen allen verneige ich mich vor Klaus Lehmann, der heute
vermutlich der Älteste hier ist und uns doch alle immer wieder mit
seinem nicht gealterten Forscherdrang vorantreibt. Für mich hat das
– in aller Lakonie - keiner so schön wie sein alter Künstlerfreund
Franz Josef Altenburg zusammengefasst: „Klaus ist ein gewissenhafter
Mann der Überraschungen. Mit Sicherheit kein Wiederholungstäter.“
Gabi Dewald
Lorsch, im März 2014
Copyright: Gabi Dewald und Galerie Metzger