Zur Ausstellung

serendipity

Klaus Lehmann

Arbeiten 1976-2014

erscheint ein Katalog mit Text von Ludwig Rinn

Fotos Klaus Hoefges

Die Verbindlichkeit keramischer, plastisch-skulpturaler Formen

 

Es ist nicht das erste Mal, dass ich Klaus Lehmann besuche. Wir haben uns im Sommer 2004 anlässlich einer Ausstellung kennen gelernt, die er zusammen mit Friederike Zeit in der Galerie Lattemann nahe Darmstadt hatte. Kirsten Jäschke nahm damals eine Gastdozentur am Institut für Künstlerische Keramik und Glas in Höhr-Grenzhausen wahr und veranstaltete zum Abschluss eine Exkursion zu dieser Ausstellung, und ich schloss mich ihr einfach an. Ich meine mich zu erinnern, dass sie sich vor allem für die Erzählstruktur einzelner Arbeiten Lehmanns interessierte. So sahen wir damals auch die Arbeit „Bild vom versperrten Weg“ (2001), der wir jetzt wieder bei Angelika Metzger begegnen. Ein kleines, vielleicht eher unwesentliches Detail der Ausstellung machte mich neugierig. Die Arbeiten waren auf Sockeln platziert, doch einige standen auf der Erde, obgleich keine Bodenplastiken von entsprechender Größe. Es war für mich keine Achtlosigkeit damit verbunden, eher war eine Möglichkeitsform im Umgang mit diesen Arbeiten eröffnet, dass es dem Betrachter gedanklich freigestellt war, eine eigene Auswahl der Sockelarbeiten zu treffen. Ich sah mich auf eine sehr freundliche Art eingeladen, mich näher mit dem Werk Lehmanns auseinander zu setzen.

Wohl war bei ihm immer schon eine gewisse Kunstaffinität gegeben, doch die Absicht, plastisch-skulptural zu arbeiten, hat sich erst allmählich herausgebildet. Lehmann studierte von 1948 bis 1951 Pädagogik mit Schwerpunkt Kunsterziehung. 1951/52 war er für ein Jahr in Paris und lernte hier Signe Pistorius kennen, seine spätere Frau, die Tochter seines Kunst-Professors Hans Pistorius, der am Bauhaus studiert hatte. Sie bildete Lehmann 1954/55 an der damaligen Kasseler Werkakademie zum Keramiker aus, und beide betrieben bis 1964 im Odenwald eine gemeinsame Werkstatt. Zwei eigene Werkstätten, wieder in der Nähe von Darmstadt, schlossen sich an. 1982 bezog Lehmann sein jetziges Domizil. In dieser langen Zeit ist er allmählich zum „Tonmenschen“ geworden, so äußerte er sich selbst in einem schönen, sehr lesenswerten Beitrag von Roland Held (Keramik Magazin, Jahrgang 29, Nr. 4, 2007, S. 16ff). Um 1970 hat er angefangen, seinen Arbeiten Werknummern zu geben, und vielleicht wird man darin einen selbstgesetzten Anfang seines eigenständigen Werks vermuten dürfen. Sicher ist auch schon vorher “Kubisches“ entstanden, mit dem man Lehmann in der Keramikszene gerne verband. Der Titel seiner ersten Einzelausstellung 1976 in der Galerie Friebe, Darmstadt-Eberstadt, hieß „vorwiegend kubisch“. Und von 1976 datiert auch die früheste Arbeit jetzt in der von Angelika Metzger mit dem Künstler liebevoll zusammengestellten Ausstellung oben in Johannesberg “Kristall“ (Werknr. 183.).

Die Arbeiten Lehmanns haben sich von der sogenannten Gefäßkeramik gelöst. Er äußerte 2007: „Heute ist die Gefäßkeramik eine nette Erinnerung für mich, doch nicht mehr“ (Roland Held, a.a.O., S. 17). Das Zitat begegnet uns jetzt wieder zu zwei Arbeiten Lehmanns in der Ausstellung „Gefäß/Skulptur2“ im Grassi-Museum, Leipzig. Die Kastenformen der 1980er Jahre: Behältnisse aller Art, Container, Wannen, Durchgänge und überhaupt Architektonisches rufen teilweise bereits in ihrem Namen Gefäße auf. Ihre Formensprache hat jedoch nichts mehr mit Drehkörpern und in Anlehnung daran gebauten Körpern aus der Gefäßkeramik zu tun, sodass sich auch die angesprochene Thematik des umfassten Raums neu darstellt. Den Kastenformen sind Risse, Schnitte, Vertiefungen, dann Höhlungen, Kammern, Schächte, auch mehrfach sich wiederholend, eingefügt, in der Werksentwicklung mit weiteren Formeinlagerungen versehen („Scarlatti“, 1980, Werknr. 315), in der späten Container-Reihe von 1989/90 dann leer gelassen ( o.T., 1989, Werknr. 618).

Dieses attributive Verhältnis von Außen- und Binnenformen, gleich, von welcher Seite man das plastisch-skulpturale Ergebnis auch betrachtet, macht den Unterschied zu der Gefäßkeramik der gedrehten oder gebauten Vasenformen, Schalen usw. deutlich und stellt „Leere“ damit in einen neuen

Bedeutungshorizont: Nicht mehr die „erfüllte Leere“ der Binnenform, die sich in der Außenform abbildet und wie selbstverständlich die Einheit des fassenden oder gebenden Gefäßes in seiner Funktion, auch noch für das autonome Gefäß, herstellt, ist angesprochen. „Leere“ ist jetzt vielmehr ein aktiver, jeweils neu nachgefragter, eigenständiger räumlicher Formbestandteil des plastisch-skulpturalen Körpers. Der umgebende Außenraum wird in den Körper hineingenommen, das Verhältnis von Raum und Körper definiert sich neu.

In jeder Entwicklungsgeschichte der Moderne wird die Öffnung und schließliche Auflösung der Kernplastik zum umgebenden Raum seit Auguste Rodin beschrieben. Die Arbeiten der späten 1980er Jahre Lehmanns, die Container-, die Rahmenreihen, negieren die keramische Studio-Bewegung in ihrem Sonderstatus des Gefäßes der „erfüllten Leere“, den sie wohl mit der „arts and crafts“–Bewegung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlangt hat, und stellen sie wieder frei für die Betrachtung im Zusammenhang der allgemeinen Entwicklung der Moderne in der Bildhauerei.

Die angesprochenen Arbeiten des Künstlers folgen in ihren entschlackten, einfachsten abstrakten Formverhältnissen dem Bekenntnis der Moderne zur Reinheit der Form. Das Ausmaß ihrer Formreduktion legt es nahe, sie in den Zusammenhang der „minimal art“ zu bringen, doch ihre relative Größe, die auf eine Nahsicht des Körpers gerichtet ist und keine unmittelbare Raumwirkung anstrebt, lässt den Gedanken schnell wieder zurücktreten. Die Arbeiten der „minimal art“, etwa von Donald Judd, 1928, ein Jahr nach Lehmann geboren, wollen in ihrer Größe diese direkte Raumwirkung entfalten, gehen darin aber auch auf. Sie sind a-kompositionell, während die Arbeiten Lehmanns trotz ihrer einfachen Formverhältnisse sehr sorgfältig durchkomponiert sind.

Lehmann bekennt sich nachdrücklich zu der relativen Größe seiner Arbeiten, die den Rahmen der Studio-Keramik in diesem Punkt nicht verlassen. Er geht sogar einen Schritt weiter, er sperrt sich auf meine Nachfrage hin nicht gegen einen Zusammenhang mit der Schmuckgestaltung. Wie zur Bestätigung nennt er eine seiner jetzt ausgestellten Werke „Bild des Goldschmieds“ (2002). Die farblich sehr sorgfältig gestalteten Oberflächen sind ein weiterer Hinweis.

 

Ziehe ich zum Vergleich auch die Betonplastiken aus den 1980er Jahren von Isa Genzken, 1948 geboren, heran, einfache zeitgenössische Bauteile, die mich entfernt an Arbeiten Lehmanns erinnern („Scarlatti“, 1980, Werknr. 315)

- sie sind nicht so sehr viel größer, wenn sie dann auch auf überhohen Metallständern aufgestellt sind -, so wird auch in diesem Vergleich erkennbar, dass es Lehmann um eine „Ganzheit“ der plastisch-skulpturalen Form geht, ein Ziel, das Isa Genzken nicht mehr verfolgt. Diese „Ganzheit“ zu erreichen, ist eine immer wieder neu sich stellende Aufgabe der sorgfältigen Formkomposition. Sie scheint die körperliche Bedingtheit Lehmanns, auch seine Versehrtheit und deren Bewältigung unmittelbar zu spiegeln. Darin findet auch das überschaubare Maß seiner Plastiken seine Bestätigung. Die Antwort der Nachkriegskunst auf die Erschütterung durch Faschismus und Weltkrieg waren Tachismus und Informel: die formlose Form.

Lehmann ging den gegenteiligen Weg, wohl auch, weil sein eigenständiges Werk erst gegen Ende der 1960er Jahre in einer geänderten Zeit einsetzte.

Jedenfalls suchte er die verbindliche Form. Dass dies ausgerechnet mit dem alles zulassenden, passiven Tonmaterial gelingen sollte, ist hervorzuheben.

Im Rahmen einer entwickelten, gefestigten Formvorstellung kann sich das Tonmaterial in seinem Eigenwert fruchtbar glücklich entfalten.

Die Arbeiten um 1989/90 bildeten in ihrer formalen Zuspitzung einen Einschnitt. Das Werk öffnet sich seitdem zu einem großen Reichtum plastischer Bilder, wie wenn es seinen  Freiraum der Positionierung in der Bildhauerei der Moderne endgültig gefunden hätte. Auslöser mag auch die Bekanntschaft Lehmanns mit dem Werk von Heinz Brelow gewesen sein. Die assoziative Fülle der bis heute entstandenen Bildwerke drückt sich in den für die Ausstellung von dem Künstler neu gefundenen Werktiteln aus. Da wird z. B. eine Schlingform als Sattelzeug Attilas gedeutet („Attila“, 1999). Ein Segel wird aufgespannt, um eine Arbeit auf den Weg zum Betrachter zu bringen, eine ironische Brechung des gewichtigen Tonmaterials („Marine“, 2013). Auch früher entstandene Arbeiten werden in diese assoziative Mehrdeutigkeit hineingezogen. Ein Rahmenmotiv mit einer Leerform erscheint existentialistisch aufgeladen („Camus“, 1990, Werknr. 740). Ein Kubus mit einem sehr heutigen zeitgenössischen Formvokabular ist barock-musikalisch belegt, wohl um die Rhythmik der Formen aufzuzeigen („Scarlatti“, 1980, Werknr. 315). Alle diese Neubenennungen sollen dem Betrachter den assoziativen Einstieg in das nun vielgestaltige Werk Lehmanns erleichtern.

Die Ausstellung in der Galerie Metzger hat auch insgesamt einen sprechenden Titel erhalten: „serendipity“. Der Begriff umschreibt einen Fund, der einem zufällt, ohne dass man danach gesucht hätte. Er nimmt die Offenheit der neueren Werke Lehmanns geschickt auf. Es wäre allerdings ein Missverständnis, sie nun als Zufallsfunde zu verstehen. Der glückliche Fund tritt nur ein, wenn eine entsprechende Formkonstellation geschaffen wurde.

Man möchte Klaus Lehmann in diesem Sinn als einen Fallensteller bezeichnen, und in der Tat passen Kästen, Rahmen, Schlingen und Plätze gut in dieses Bild einer Falle, dass Kunst sich darin ereignet.

Das Netz will gut geknüpft sein. Das Formvokabular Lehmanns erscheint geläutert und erweitert. Den offenen, amorphen, chaotischen Formen ist die geometrisch-stereometrische, kristalline Form gegenübergestellt. In dieser polaren Formkonstellation trifft sich Klaus Lehmann mit dem Fluxus-Künstler Joseph Beuys. Es geht immer um die verbindliche plastisch-skulpturale Form.

Ich wünsche dem Trapper Klaus Lehmann weiter viel Erfolg.

 

Ludwig Rinn